MILITÄRLUFTFAHRT
MIRAGE IIIS

Das Ende der Fata Morgana (2)

Puma
Das Ende der Fata Morgana
Puma
Montage der ersten Canards an der Test-Mirage in Emmen

Zum ersten Mal in der Geschichte der Flugwaffe beschaffte man eine Maschine mit dem ausgeprägten Charakter einer Systemplattform. Das heisst, die Schweizer hatten die Möglichkeit, die für sie günstigste Kombination von Triebwerk, Radar, Waffenrechner und Bewaffnung zusammenzustellen. Die Konfiguration, bei der Abstimmung im Parlament als definitiv dargestellt, wurde fortlaufend geändert. Der folgenschwerste Entscheid betraf die Wahl des Feuerleitsystems. Das amerikanische «Taran» war zwar leistungsstärker als die französischen und britischen Konkurrenten, musste aber weiterentwickelt und in die Mirage integriert werden. Dies verursachte zusätzlichen Aufwand für Entwicklung, Integration und Tests der Systeme.

Von 100 auf 57
Im Mai 1964, als rund 600 Betriebe in der Schweiz mit der Produktion von Teilen für die 100 Mirages beschäftigt waren, empfahl die Militärkommission, einen Nachtragskredit von 576 Millionen unter gewissen Vorbehalten gutzuheissen. Nur sechs Jahre früher hatten 313 Millionen noch für 100 Hunter gereicht. Das war den Räten zuviel. Sie beauftragten eine Untersuchungskommission von 20 National- und zwölf Ständeräten, sich einen Überblick über das Programm zu verschaffen. Nur drei Monate später, am 2. September 1964, wurde der Bericht veröffentlicht, ein staatspolitisches Dokument von schonungsloser Offenheit. Er sollte später, nach dem Chef der Kommission, als «Furgler-Bericht» bezeichnet werden. Der Kompromiss, anstatt der 100 nur 57 Maschinen zu beschaffen, entlastete die Staatskasse nur wenig. Dafür stieg der Stückpreis von «sehr hoch» auf «phantastisch». Dann rollten Köpfe: Der Chef der Flugwaffe, Divisionär Etienne Primault und Generalstabschef Annasohn waren die ersten. Auch Chaudet sah sich 1966 gezwungen, zurückzutreten.

Ein Superflugzeug
Was die Schweiz schliesslich erhielt, war ein Flugzeug der Spitzenklasse. Die 36 Jäger standen den andern Flugzeugen jener Zeit um nichts nach. Kernstück der Bewaffnung waren die amerikanischen «Falcon» Lenkwaffen. Halbaktiv-radarzielsuchend, konnten sie ein Luftziel treffen, dass sich mit hoher Geschwindigkeit frontal näherte. Auch die Infrarot-Lenkwaffe «Sidewinder» war Teil des Mirage-Programms. Ein Flüssigkeits-Raketenmotor SEPR vergrösserte den Schub für Beschleunigungs- und Steigflug. Ein Druckanzug mit Astronautenhelm erlaubte Flüge bis auf 22000 Meter Höhe. Mit Hilfe von «JATO» Feststoff-Raketen konnte die Startrollstrecke verkürzt werden, und mit der Nord AS-30 erwarb die Schweiz auch ihre ersten lenkbaren Luft-Boden Raketen. 18 Flugzeuge waren als Aufklärer Mirage IIIRS mit Kameras ausgerüstet. Die 36 Jäger wurden den Staffeln 16 und 17 des Überwachungsgeschwaders übergeben. Zusammen mit den Bloodhound-Flabraketen und dem Frühwarn- und Einsatzleitsystem Florida verfügte die Schweiz über eine Luftverteidigung, die zu den modernsten der Welt gehörte.

Lehren aus Israel
Erst mit der Zeit realisierte die Flugwaffe, dass die Einsatzdoktrin modifiziert werden musste. Ende der Siebziger Jahre reisten zwei Schweizer Militärpiloten nach Israel, um sich zeigen zu lassen, wie die russische MiG-21 von einer Mirage III besiegt werden konnte. Zunächst durch Filme von Luftgefechten und dann auch im Flug, im simulierten Luftkampf, lernten Fernand Carrel und Paul Leuthold eine Menge dazu. Die Israeli sandten später zwei erfahrene Instruktoren in die Schweiz, um den Truppenpiloten ihre Erfahrungen aus den Nahostkriegen weiterzugeben. Der Kurvenkampf gewann an Bedeutung.

Diese Erkenntnis veränderte das taktische Denken in der Flugwaffe. Die Konsequenz war ein Programm zur Kampfwertsteigerung der Mirages. Das Kernstück des ISMA (Improved Swiss Mirage Aircraft) war die Ausrüstung mit «Enten-Flügeln», die auf einem Rumpfspant, hinter dem Einlaufkanal montiert wurden. Sie verbesserten die Flugleistungen im Langsamflug und bei extremen Manövern erheblich. Gleichzeitig installierte man eine Radar-Warnanlage und ein Chaff- und Flare-System. Der Schleudersitz wurde gegen ein neues Modell ausgetauscht, das eine grössere Einsatz-Envelope aufweist. Zudem erhielten die bisher unbemalten Jäger einen matt-grauen Tarnanstrich.

Eine soche «Jungzellenkur» vermochte das wahre Alter der französischen Damen zwar etwas zurückzuschminken, aber nicht die Alterungsprobleme zu beseitigen. Mit der Einführung des F/A-18 nahte das Ende. In den achziger Jahren verschwanden die AS-30 Raketen, dann folgten der SEPR, die Falcon und in diesem Jahr die JATO-Raketen. Im August machte die Sulzer Triebwerke AG die letzte Überholung eines ATAR-Triebwerkes. Jetzt verschwinden die Flugzeuge. Lediglich die 16 Mirage IIIRS Aufklärer und die vier Doppelsitzer werden im nächsten Jahrtausend noch im Einsatz sein.

Skandal als Mahnfinger
Mit dem Schlusspfiff für die Mirage Jäger geht eine Aera zu Ende, die in den heissesten Tagen des kalten Krieges begonnen hatte. Die Geschichte dieser Maschinen bedeutete einen grossen Schritt für ein kleines Land. Der technologische Quantensprung ins Überschallzeitalter wurde technisch mit Bravour bewältigt. Dass die beschaffenden Organe über die rechtsstaatlichen Prinzipien unserer Demokratie stolperten, entsprach der vorherrschenden Mentalität, die die Sache über die Form zu stellen gewohnt war. Mit der Mirage wandert nun auch der Skandal ins Museum, als Anschauungsbeispiel für kommende Generationen. Peter Gunti



     
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