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Überleben im Gebirge
Von Ueli Bodmer, 13. August 1999
 
Ueli Bodmer
Ueli Bodmer, Fluglehrer, Präsident der Swiss Pilot School Association und der Motorfluggruppe Zürich
Ein klarer, warmer Sommertag fordert zu einem Alpenrundflug auf. Doch wer denkt dabei schon an eine Notlandung im Gebirge?

Es ist wirklich heiss heute, das Flugzeug ist zudem den ganzen Tag in der Sonne gestanden. Gottseidank sind wir mit leichter Kleidung unterwegs: Sandalen, kurze Hosen und T-Shirt sind angesagt. Beim Flug läuft alles wunderbar und nach Plan - bis Murphy zuschlägt: Engine failure! Glück gehabt, die Notlandung gelingt, und ohne grössere Schäden steckt das Flugzeug auf einem Gletscher im Schnee. Es ist empfindlich kalt, ein widerwärtiger Wind bläst, und Triebschnee fliegt Ihnen um die Ohren. Sie schätzen die Temperatur auf einige Grade unter Null, der Wind bläst mit etwa 15 Knoten.
 
Mit dem obenerwähnten Tenue sind Ihre Chancen schlecht. Schon nach kurzer Zeit werden Sie an starker Unterkühlung leiden, und in ein bis zwei Stunden sind Sie in akuter Lebensgefahr. Aufgrund des immer wieder unterschätzten «Windchill Factors» wird ein Mensch bei starkem Wind rasch unterkühlt und erleidet schon bei geringen Minustemperaturen Erfrierungen. Die nebenstehende Tabelle gibt an, wie tief die Umgebungstemperatur wird, wenn die Auskühlung durch den Wind berücksichtigt wird. Um im Gebirge bis zum Eintreffen der Rettungsmannschaft überleben zu können, ist eine vernünftige, der Situation angemessene Kleidung eine Notwendigkeit. Die folgende Minimalausrüstung sollte für jeden Insassen an Bord sein:
 
- Gute Schuhe (z.B. Wanderschuhe)
- Lange Beinkleider
- Pullover
- Windjacke
- Mütze
 
Wird man überhaupt vermisst?
Aber werden Sie auch innert nützlicher Frist gerettet? Um gerettet zu werden, muss man zuerst gefunden werden, um gefunden zu werden muss man zuerst gesucht werden, und um gesucht zu werden muss man vermisst sein. Eine Fluganmeldung genügt nicht, um eine Suche auszulösen, falls Sie nicht auf dem Zielflugplatz eintreffen. Dazu braucht es einen ICAO Flugplan. Ebensowenig ist ein Radiokontakt mit z.B. Zürich Information eine Garantie dafür, dass ein Flugzeug bei Nichteintreffen an der Destination vermisst wird. Allerdings, und das kann nicht genug betont werden, ist eine regelmässige Positionsmeldung bei der zuständigen Flight Information ein hervorragendes Mittel, um eine eventuelle Suchaktion räumlich einzugrenzen.
 
Wird kein ICAO Flugplan aufgegeben, muss der Pilot auf andere Art und Weise dafür sorgen, dass er vermisst wird. Ein Telephonanruf nach der Landung bei Freunden oder Bekannten ist eine gute Möglichkeit dafür zu sorgen, dass Sie nicht spurlos von der Bildfläche verschwinden.
 
Ist im Flugzeug, mit dem Sie den Rundflug in die Alpen unternehmen, überhaupt ein ELT eingebaut? Wenn Ja, wissen Sie, wie man diesen ELT nach erfolgter Notlandung in Betrieb nimmt? Es kann durchaus sein, dass die Verzögerung bei der Landung nicht ausreichte, um den Notsender auszulösen.
 
Ein letzter Ratschlag: Bleiben Sie nach erfolgter Notlandung beim Flugzeug. Ein notgelandetes Flugzeug wird in unwegsamem Gelände eher gefunden als eine kleine Gruppe von Fussgängern. Die Alternative, ein womöglich nächtlicher Fussmarsch im Gebirge, ohne Geländekenntnis, ohne genaue Karte, ohne Ausrüstung, ohne Erfahrung und Training, ist auch bei gutem Wetter ein fragwürdiges Unternehmen.

Tabelle

 
   
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