PEOPLE
PORTRAIT
Der zweite Teil eines Fliegerlebens
von Susanne Wild, 26. März 1999
 
Otto Roth
Er wäre Leader geworden
Schicksalsschläge treiben vorwärts
Persönlich
 
Staffel 11 Als Pilot der Staffel 1 wird Otto Roth 1971 in die Patrouille Suisse ­ bisher eine Domäne der Fliegerstaffel 11 ­ gewählt

Patrouille Suisse, Swissair, SLS. Otto Roth hat als Pilot viel erreicht und als Mensch viel erlebt. Nun steht die Familie im Zentrum.

Nach oben. Den höchsten Punkt suchen und von dort herabschauen. Als Kind kletterte Otto Roth auf Bäume, um herabschauen zu können. Heute radelt er immer noch auf den nächsten Berg, wenn er, den kleinen Sohn im Anhänger, eine Velotour macht. Seit er sich erinnern kann, ist er beseelt vom Wunsch zu fliegen. Das Gefühl des Abhebens, des unter-sich-Zurücklassens prägt ihn bereits als Junge. Der Wunsch ist so stark, dass die Erfüllung Angst macht: Als er im Sisseler Feld erstmals Gelegenheit hat, mitzufliegen, will er eigentlich doch lieber ein ander mal. Glücklicherweise sagt der Cousin sofort begeistert zu und reisst den jungen Otto Roth mit. «Da war's gänzlich um mich geschehen», erinnert er sich. Aus dem Wunsch zu fliegen wird der Wunsch, Berufspilot zu werden.

1961 lernt er im Birrfeld fliegen. Bei René Vetterli absolviert er den Segelflug-FVS-Kurs mit allen Zusätzen. An Vetterli mag er sich nicht nur erinnern, weil er ihm viel beigebracht habe. «Er hatte eine markante, offene Art, einen auf Fehler aufmerksam zu machen», erinnert sich Otto Roth. René Vetterlis natürliche Autorität sei für ihn gut gewesen, sagt er heute.

Noch mehr Autorität und Lautstärke erfährt Roth in der Ausbildung zum Militärpiloten. Zehn Wochen Bodenausbildung in Payerne prägen ihn und lassen ihn doch nie an seinem Ziel zweifeln. Payerne ist mehr als eine harte Schule für den Pilotenanwärter und seine Kollegen. Schikanöse Strafen für kleine Versehen wie einen offenen Knopf am Hemd bringen die Rekruten an den Rand ihrer Möglichkeiten. Wer nicht durchhält, muss den Traum aufgeben. Roth sieht es als Abhärtung, aber auch als Motivationstest. «Ich war immer absolut überzeugt, dass ich mein Ziel erreichen würde», sagt er. Hat er auch. Während seiner Ausbildung hat immer alles irgendwie geklappt, sämtliche Hürden und Prüfungen übersteht er ohne Probleme. Fast erstaunt stellt er fest, wie zielgerichtet seine Ausbildung und die weitere Laufbahn verläuft: «Ich kam nie in wirklich gefährliche Situationen.» Ausser einmal. Aber auch dann hat er Glück.

Nur Glück? «Glück gehört sicher dazu», meint Roth. Er sucht nach Worten, um das zu beschreiben, was es eben auch braucht: Vorsicht, Entscheidungsfreudigkeit, Intuition, im Militär eine Prise Draufgängertum. Und eine ehrliche Lebensphilosophie. «Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich nie etwas vorzumachen», meint er. «Wer dauernd irgendeinen Schein aufrecht erhalten muss, verbraucht viel Energie.»

Eine Einsicht, von der er seit Kindheit geprägt ist. Als Otto Roth neun Jahre alt ist, stirbt sein Vater an einem Herzleiden. «Damals lernte ich, selbständig zu denken und zu handeln.» Die Mutter lässt dem Jungen den Freiraum, selbst die Konsequenzen seines Handelns zu erfahren.

angemalt In einer Nacht- und Nebelaktion bemalten die Piloten der Patrouille Suisse den Leader-Hunter. Die Bemalung blieb nur einen Tag lang bestehen

Vielleicht ist es diese Selbständigkeit, vielleicht seine Integrität, sicher aber noch vieles mehr, was 1971 zum Höhepunkt seiner Militärpilotenlaufbahn führt. Die Patrouille Suisse holt ihn zu sich. Er, der der Fliegerstaffel 1 angehört, wird von den Patrouille Suisse-Mitgliedern ­ alles Elfer ­ als neues Mitglied gewählt. Damit bricht die Patrouille Suisse ein Tabu und beendet ein langes Konkurrenzdenken zwischen den beiden Staffeln. «Auch ich war kurze Zeit diesem Denken verfallen. Umso mehr ehrte es mich natürlich, dass sie mich in der Staffel wollten.»

Ehre, kein besonderes Verdienst, aber Ehre. In die Patrouille Suisse gewählt zu werden zeichne niemanden als besonders guten Piloten aus. Aber es zeichne ihn als besonders vertrauenswürdigen Fliegerkollegen aus. Denn wer mitfliegen darf, bestimmen allein die Patrouille Suisse-Piloten. Können auch nur sie: Die Piloten brauchen absolutes Vertrauen zueinander. Vertrauen, das nicht auf fliegerisch-technischer Weisheit basiert, sondern auch im Bauch stimmen muss.

Fliegerisch wie menschlich ist die Zeit bei der Patrouille Suisse ein Highlight in Roths Laufbahn. Akrobatik, Fliegen in Bodennähe, Hunter an Hunter, und am Boden tausende von Menschen, die am Können der Piloten Freude haben ­ die Summe davon und vielem mehr ergebe ein Gefühl, das nicht zu beschreiben sei. Roth umschreibt es als gemeinsames Erleben einer Extremsituation. Zwischen den Piloten entstehe eine Verbundenheit, in die Aussenstehende nicht eindringen könnten. Nur die Piloten wissen um die Magie ihrer gemeinsamen Erlebnisse.

Auch jene eine gefährliche Situation erlebt Otto Roth als Mitglied der Patrouille Suisse. Als Solist soll er an einem Meeting drei Rollen fliegen. «Der Hunter hatte die Tendenz, in den Rollen die Nase zu senken», erklärt Roth, «also musste man bei der Einleitung der Figur die Nase hochziehen, um am Ende wieder horizontal herauszukommen.» An jenem Meeting startet er mit der Fliegernase zu tief in die Figur. Die Nase senkt sich mit jeder Rolle mehr. «Eigentlich hätte ich nach der zweiten Rolle abbrechen müssen.» Aber er hängt auch die dritte an. Der Boden ist sehr nah. Instinktiv zieht Roth mit aller Kraft den Knüppel nach hinten: «Ich zog buchstäblich um mein Leben.»




 
     
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