PEOPLE
PORTRAIT
Mensch sein als Lebensziel ( 3 )

Markus Seiler
Mensch sein als Lebensziel
Klima hat sich stark verändert
Käsebrot statt Lachsbrötli
   
Tea
Die Pfeife gehörte schon früh zu Paul Schär – den Segelflug gab er später aus Zeitgründen wieder auf

Käsebrot statt Lachsbrötli
Grossen Menschenansammlungen geht er aus dem Weg; ihm ist der direkte Kontakt mit den Leuten wichtiger. An seinem Startplatz auf dem Männlichen spricht er die Leute an, erzählt ihnen von der atemberaubenden Schönheit der Berge und davon, dass er ihnen zeigen könne, was sie sonst nie sehen würden. «Die Eigernordwand hat wohl jeder schon auf Bildern gesehen», meint Paul Schär, «aber wie der Berg dahinter, von der anderen Seite her aussieht, nicht.» Sein «Piperli», wie er die Piper Super Cup nennt, bietet zwar kaum Komfort und hat nur Platz für einen Passagier, wartet jedoch mit fast uneingeschränkter Aussicht auf. Statt Lachsbrötli und Champagner teilt Schär schon mal sein Zmittags-Käsebrot mit dem Passagier. Essen ist überhaupt so eine Sache. An schönen Tagen, wenn viel Betrieb ist, reicht’s nicht für eine Mittagspause. Dann kann es vorkommen, dass er den Kartoffelsalat, den er sich in einer Pause im Restaurant geholt hat, während des Fluges geniesst. Dass einige Passagiere die Welt nicht mehr verstehen, wenn der Pilot mit der Gabel in der Hand die Gebirgslandschaft erklärt, hat er erlebt.

Die meisten Kunden von Paul Schär werden allerdings schon vorher festgestellt haben, dass Schärs Flugbetrieb anders als üblich funktioniert. Dem zweiten Passagier drückt er jeweils mit einigen Erklärungen das Billettblöckchen in die Hand. Der verkauft einen weiteren Flug und gibt dem nächsten Passagier das Blöckchen weiter, während Pole Schär mit dem ersten Kunden auf dem Rundflug ist. So wandert das Billettbüchlein von Passagier zu Passagier – die Leute haben ihren Spass bereits vor dem Flug und Pole Schär kommt auf bis zu 35 Landungen am Tag. Dennoch: Leben kann er längst nicht mehr von der Gletscherfliegerei. Für den Lebensunterhalt ist die 100-Prozent-Stelle als Flugzeugmechaniker auf dem Flugplatz Bern-Belp zuständig. Die teilt er sich so auf, dass die Gletscherfliegerei nicht zu kurz kommt. Oder umgekehrt?
Jedenfalls kennt er keine Langeweile. Zuhause in Toffen pflegt er rund 130 Apfelbäume: Er schneidet sie selbst, «gfätterlet» herum und mostet «wie verrückt». «Wenn man einen Zweig abschneidet, muss man mindestens ein halbes Jahr lang warten, bis man das Resultat sieht.» Diese Langsamkeit der Natur zu beobachten und in einer immer schneller werdenden Zeit zu geniessen – das ist der Reiz.

«Und dann habe ich noch ein Chueli.» Der Bart macht einem breiten Lachen Platz, leichtes Erröten um die strahlenden Augen. Dieses Chueli steht, zusammen mit Schärs Esel, im Stall eines befreundeten Bauers, übersommert auf der Alp und liefert der Familie Schär besten Käse. Hirten würde er auch sehr gerne, meint Pole Schär.

Ein ganz grosser Traum wäre, die Forschungsstation auf dem Jungfraujoch zu betreiben: Die Zimmer für die forschenden Studenten betreuen, wirten, die Wetterstation ablesen. «Fax und Natel sollten das Leben vereinfachen, doch sie machen nur den Zeitdruck noch grösser», sinniert Schär. «Vielleich habe ich das Ziel, den Menschen zu zeigen, dass wir immer weniger Zeit haben, um Mensch zu sein.»




     
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